Was für ein holpriger Start! Tatsächlich sind wir bis Harburg komplikationslos gekommen: Taxi und Metronom. Gepäck 1 Koffer und 2 Rucksäcke. In Harburg nahmen wir den ICE nach München bis Stuttgart. Fing schon mit Verspätung an, die sich weiter ausbaute: Baustelle, Oma auf dem Gleisübergang, Defekt in Köln: Rückwärtsgang ließ sich nicht einlegen. Aus den 2 Stunden Aufenthalt in Stuttgart wurden 30 Minuten. Dann der Nachtzug nach Venedig. Abteil sehr eng, Wotan reist als blinder Passagier, es gab Tüten mit Puschen, Ohrstöpsel, Handtücher und Leckerlis, dazu 2 Piccolo Söhnlein Brilliant und nachts einen Dieb. Am Morgen steht unser Rucksack an einer Stelle an der wir ihn nicht hingestellt hatten. Als Ute ihn öffnete bemerkte sie, dass aus ihrer Geldbörse 150 € fehlten. Alles andere war zum Glück noch da. In Venedig angekommen empfängt uns Donner, Blitz und Regen. Der Koffer wird für 6 € abgegeben, besorgen die Monatskarten fürs Vaporetto. Danach einkaufen, und plötzlich scheint die Sonne. Nebenbei warnt die Corona Warnapp mit schillernd roten Farben. Wir stärken uns mit einem Aperol Spritz. Abends gibt es Salami, italienischen Käse und eingelegte Sardellen, dann früh ins Bett.
Vittore Carpaccio war ein bedeutender Maler der Frührenaissance in Venedig. Seine Gemälde werden zur Zeit in einer einzigartigen Ausstellung im Dogenpalast präsentiert.
Seine Werke zeigen uns mehr als andere Renaissance Künstler den Prunk und die Mythologie der Serenissima Republik. Die Ausstellung im Dogenpalast bietet uns die einmalige Gelegenheit sein Werk zu
bewundern. Eine lange Schlange erwartet uns am Eingang. Mein Schwerbehindertenausweis öffnet uns die Tür. Ohne langes Anstehen und ohne einen Cent Eintritt zu bezahlen werden wir in
dieAusstellung begleitet . Anders als in Deutschland werden Schwerbehinderte in Italien respektvoll behandelt.
Carpaccio erinnert mich ein bisschen an Vermeer, der 100 Jahre später in Erscheinung trat. Vermeer war wie Carpaccio genauso Detail besessen. Carpaccio zeigt in seinen Bilderzählungen die
Stadtgeschichte Venedigs, deren genau beobachtetes alltägliches Leben, ihre Bräuche und Feierlichkeiten. Diese symbolisch angereicherte Bildersprache zeigt, wie belesen und gebildet er war.
Das Licht in allen Variationen von der Morgendämmerung bis zum indirekten Lichteinfall spielt bei Carpaccio eine besondere Rolle.
Heute ist einer der wenigen Frühlingstage an denen Venedig nicht als Postkartenidylle daher kommt, sondern als Schimäre. DieTouristen ziehen über die Brücken, schieben sich durch die engen Gassen, wie sie es jeden Tag tun. Als wäre es ihre Stadt. Ich spüre, das Venedig keine Stadt ist. Venedig ist für mich eine kleine Welt.
Schon seit Jahrhunderten lebt Venedig die Leidenschaft emotionaler Phantasien. Es ist eben diese Tragik, die das unvergessliche Flair Venedigs ausmacht. Hier treffen Lust am
Morbiden mit der Eindeutigkeit des Vergänglichen zusammen.
Natürlich war auch Goethe hier. In der Italienischen Reise beschreibt er seinen Besuch in Venedig. Er geht durch die Accademia, damals noch ein Kloster, und ist begeistert von der Architektur.
Hemingway, der hier in einer venezianischer wilden Liebschaft darbte. Igor Strawinsky, der hier seine wilden Kompositionen der Welt offenbarte. Richard Wagner verlebte seine letzten Lebensjahre
in Venedig. Hier vollendete er seine wohl schönste Oper, "Tristan und Isolde". Er starb 1883 im Palazzo Vendramin-Calergi am Canale Grande.
Vivaldi, Tizian, Bellini, Marco Polo, Casanova, Carpaccio, Tintoretto, E.T.A. Hoffmann, Mozart. Sie alle reklamierten die Lagunenstadt für sich, und schufen hier
Unbegreifliches. Thomas Mann, der überall seine Neigung zur Homosexualität vergaß, schrieb in Venedig eines seiner Meisterwerke. " Der Tod in Venedig". Eine Tragödie mit immer wieder neu
auftretenden Boten des Todes.
Donna Leon erfand hier ihren melancholischen Commissario Brunetti, der sein ganzes Leben darunter leidet, das Böse nicht aus der Welt schaffen zu können.
Venedig und die Liäson zum Wasser. Es steigt an manchen Tagen bis in die ersten Stockwerke der Häuser, es steigt über die Gehsteige und die Anlegestellen der Vaporetti. Das Wasser, das der Stadt
einst Macht und Einfluss garantierte, wird plötzlich zum Fluch. Vor allem im Herbst und Winter steigen die Pegel in der Stadt. Das "Aqua alta" überflutet zuerst den niedrig gelegenen Markusplatz,
aber es dehnt sich mittlerweile auch in den übrigen Vierteln aus. Die Venezianer nehmen das alles mit einer bemerkenswerten und störrischen
Ruhe hin. Irgendwann steigen dann auch die schicksten Venezianer in ihre Gummistiefel.
In dieser Stadt, in der überall der Putz von den Wänden der Häuser abbröckelt, wird mir bewusst, wie vergänglich das Leben
ist. Hier würde ich gerne über meinen Tod hinaus bleiben. Leider ist das nur Venezianern auf der schönen Friedhofsinsel, San Michele, vorbehalten.